Wie in früheren Blogposts angetönt, wollte ich mir eine eigene Meinung bilden zum VJAZ – nicht nur anhand der Geschäftsberichte, die ich bereits verlinkt habe, sondern im direkten Gespräch mit Vorstandsmigliedern. Ich wollte wissen, was der Verein leistet, wer die Jugendlichen sind, die davon profitieren, wie die Zusammenarbeit mit den Kirchen verläuft und was die einseitige Kündigung der Leistungsvereinbarung durch die reformierte Kirche für Konsequenzen hat.
Also traf ich mich mit Elisabeth Weirich, Präsidentin des Vereins VJAZ, und Daniel Schenker, Kassier.
Erste Überraschung: Der Verein ist viel älter, als ich dachte!
Die Gründerversammlung fand bereits 1989 statt. Die politische Gemeinde sowie die beiden Kirchgemeinden waren Kollektivmitglieder mit je 2 Delegierten. Ziel des Vereins: Die lokalen Jugendprobleme zu beobachten und zu analysieren, die Jugendlichen zu fördern und entsprechende Aktivitäten zu organisieren. Heute zählt der Verein rund 90 Mitglieder, die seit 2015 einen Mitgliederbeitrag von CHF 45 (vorher 30) bezahlen. Der gesamte Vorstand arbeitet seit 2013 ehrenamtlich – will heissen, sie verzichten auf Sitzungsgeld.
Die aktuelle Leistungsvereinbarung stammt von 2008:
Sie regelt die Geschäftsbeziehung zwischen dem Verein für Jugendarbeit Bad Zurzach (VJAZ), der politischen Gemeinde Bad Zurzach sowie der römisch-katholischen und der reformierten Kirchgemeinde Bad Zurzach.
Gegenüber 1989 wurden die Ziele detaillierter formuliert. Insbesondere sollte
- die Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung strukturiert und optimiert werden;
- die Arbeitsbeziehungen zwischen Jugendarbeiter des VJAZ und der Kirchgemeinden ausgebaut und optimiert werden;
- das Helfersystem vor Ort und in der Region gefördert und ausgebaut werden.
Die Aufgaben lassen sich (wie bereits im Blogpost zur Offenen Jugendarbeit angetönt) mit den Überbegriffen Integration, Prävention und Vernetzung zusammenfassen.
Die Finanzierung wird in einem separaten Anhang geregelt:
Damit Anpassungen einfacher und schneller erfolgen können, wurde die Finanzierung in einem Anhang zur Leistungsvereinbarung geregelt.
Die politische Gemeinde verpflichtete sich 2008 zur Zahlung von 45'000 Franken, die beiden Kirchgemeinden zu je 15'000 pro Jahr, wobei diese Betrag jeweils an der Budget-Gemeindeversammlung durch die StimmbürgerInnen neu zu bewilligen (oder ggf. zu ändern) sei.
2011 stimmte die politische Gemeinde (also die Einwohnergemeindeversammlung) der Erhöhung des Beitrages um mehr als 100'000 Franken zu (Stand heute: 151'400). Diese Änderung wurde wiederum in einem Anhang festgehalten.
Wer sind die "Klienten" des VJAZ?
Angesprochen sind gemäss Leistungsvereinbarung alle Jugendlichen im Gemeinwesen. Allerdings verkehren nur wenige Bez-SchülerInnen im Jugendhaus – und wenn, meist für eine Party, die sie selber organisieren. StammkundInnen sind meist Sek-SchülerInnen, oft mit Migrationshintergrund und / oder mit Eltern, die Schicht arbeiten oder sonst wenig verfügbar sind. Sie schätzen den Freiraum, die Unterhaltungsmöglichkeiten (Töggelikasten, Airhockay, Playstation), den Austausch mit KollegInnen und die Gespräche mit den Sozialarbeitern Diego C. Petraccini und Jennifer Kläy.
Was sind die Herausforderungen?
Gemäss meinem Gespräch mit den beiden Jugendarbeitern, noch vor deren Ferien, ist es immer schwieriger, die Jungen zu Eigeninitiative und Eigenverantwortung anzuhalten. Immer wieder versuchten diese, die beiden in eine Animationsrolle zu drängen und einfach zu konsumieren, statt aktiv mitzugestalten …
Dazu kommen die alterstypischen Probleme:
Grenzen werden ausgelotet und teilweise überschritten – beim Rauchverbot, beim Umgang mit der Infrastruktur oder untereinander … Immer wieder müssen die JugendarbeiterInnen Grenzen setzen, Respekt einfordern – und teilweise auch Hausverbot aussprechen, was die Jungen als extreme Strafe empfinden. Um wieder Zugang zu erhalten, müssen sie im Dienst an der Gemeinschaft "Wiedergutmachung" leisten – oder die Konsequenzen ziehen. Natürlich kann der VJAZ auch nicht alle Erziehungsdefizits auffangen, aber vom Hörensagen weiss ich, dass die Zustände massiv besser seien als vor 2010 (ich selber bin ja erst 2013 zugezogen und kann das nicht beurteilen).
Welche Rolle spielen die Kirchgemeinden?
Gemäss Leistungsvereinbarung sollten die kirchlichen und die Offenen Jugendarbeiter eng zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit sei 2012 und 2013 auch relativ gut verlaufen: Die katholische Kirchgemeinde hatte einen Jugendarbeiter mit 50 %, die reformierte Kirchgemeinde eine Jugendarbeiterin mit rund 20 %, gemeinsame Anlässe wurden geplant und durchgeführt. Gemäss Elisabeth Weirich zogen sich die beiden aber mehr und mehr aus der Organisation von gemeinsamen Anlässen zurück, meist mit der Erklärung, sie hätten ihr Pensum bereits erschöpft und ohnehin schon zu viele Überstunden. So blieb die Organisation der gemeinsamen Anlässe 2014 an Diego hängen - und 2015 sowieso, denn die entsprechende Stelle in der katholischen Gemeinde war vakant, und auch mit Sabine Rieder, der Jugendarbeiterin der reformierten Kirchgemeinde, kam kein gemeinsames Projekt mehr zu Stande.
Nach wie vor rapportiert der VJAZ aber schriftlich und mündlich an die politische Gemeinde, so dass auch Fragen gestellt und einzelne Punkte diskutiert werden können. Protokolle und Jahresberichte gehen automatisch auch an die beiden Kirchgemeinden. Beide könnten eine Vertretung im Vorstand stellen – tatsächlich vertreten ist aber nur die katholische Kirchgemeinde.
Gemäss Elisabeth Weirich gab es mehrere Versuche, die Kirchgemeinde stärker einzubinden – via Kurator und später, als Monika Vosseler Kirchenpflegepräsidentin wurde, sei sie direkt angesprochen worden, aber ohne Antwort. Die Einladungen zu den ca. 4 Sitzungen pro Jahr und der Jahresversammlung gingen immer an beide Kirchgemeinden, wurden aber von der reformierten Kirchgemeinde in den letzten 2 Jahren nie angenommen. Und auch die Einladung zur Jubiläumsfeier im Schulhüsli, im Oktober 2015, blieb unbeantwortet.
Was ist mit der mehr oder weniger offen geäusserten Kritik?
In Kommentaren zu meinen Blogposts und auf Facebook werden Anspielungen gemacht, dass die Arbeit des VJAZ nicht über alle Kritik erhaben sei.
Was sagen die beiden Vorstandsmitglieder dazu, dass es Junge gebe, die nicht mehr ins VJAZ kämen?
Durchaus möglich, meinen beide – genau so, wie es in jedem Verein, in jedem Lokal Menschen gäbe, die nicht zufrieden seien. Ohne konkrete Namen sei eine Abklärung aber nicht möglich. Entsprechende Meldungen bzw. Kritik dürfe man aber jederzeit an den Vorstand oder an den Jugendarbeiter richten. Denkbar sei aber natürlich auch, dass Jugendliche, die diszipliniert worden seien, ihren Unmut Kund getan hätten.
Und was sagen die beiden zur Kritik, der VJAZ halte die Leistungsvereinbarung nicht ein?
In einem Punkt stimme das, gibt die Präsidentin unumwunden zu. Die finanzielle Beteiligung der Kirchgemeinden sei an die Bedingung geknüpft, dass der Treff auch während der Sommerferien geöffnet sei. Das sei leider nicht (mehr) machbar, da die JugendarbeiterInnen sonst überhaupt nie Ferien machen könnten. Hier fehlten schlicht die Ressourcen, vor allem auch, weil eben keine Entlastung mehr durch die kirchlichen JugendarbeiterInnen gegeben sei. Allerdings sei auch die Nachfrage sehr gering – vor allem bei schönem Wetter.
Auf der anderen Seite sei der Treff das restliche Jahr über 3 Tage die Woche geöffnet – nicht nur an einem Tag, wie in der Leistungsvereinbarung ursprünglich vorgesehen. Immer wichtiger sei der Freitagabend, wo die Jungen bis 23 Uhr ihren geschützten Raum nutzen könnten.
Welche Konsequenzen hat die Kündigung der Leistungsvereinbarung für den VJAZ?
Schwierig zu sagen, meint Daniel Schenker, der Kassier. Das hänge davon ab, ob die reformierte Kirchgemeinde, wie versprochen, bis zur nächsten Kirchgemeindeversammlung eine neue Vereinbarung mit den übrigen drei Partnern ausarbeiten und zur Abstimmung vorlegen kann, oder gegebenen Falles eine eigene, bilaterale Lösung. Falls nicht, könnte der Verein 2017 finanziell wohl überbrücken, aber bereits 2018 würde das Geld ausgehen. Im Gegensatz zu Aussagen an der Kirchgemeindeversammlung oder in den Kommentaren auf Facebook würde die Gemeinde den Fehlbetrag auch nicht einfach automatisch übernehmen können: Es bestehe keine vertragliche Defizitgarantie. Eine allfällige Aufstockung des Beitrages der politischen Gemeinde müsste den normalen, gesetzlichen Weg gehen – was natürlich Zeit brauchen würde.
Zum Schluss habe ich die beiden gefragt:
Wenn ihr den Mitgliedern der reformierten Kirche etwas sagen könntet – was wäre das?
Elisabeth Weirich:
Wo sollen die Jungen hin, wenn es den VJAZ nicht mehr gibt – oder nur noch ein reduziertes Angebot? Und ist diese Art von sozialem Einsatz nicht eine der Grundaufgaben gerade auch der Landeskirchen?
Daniel Schenker:
Kommen Sie doch einfach einmal vorbei und schauen Sie sich selber an, was im VJAZ passiert. Die JugendarbeiterInnen freuen sich über Ihr Interesse!
Mein Fazit:
An der Kirchgemeindeversammlung war nur vom Sparen die Rede, und dass die Leistungsvereinbarung gekündigt werden müsse, um einen neuen, kleineren Betrag zu verhandeln. Nach diesem Gespräch habe ich irgendwie den Eindruck, dass man sich innerlich schon längst aus dieser Zusammenarbeit zurückgezogen hat …
Um meinen Eindruck zu überprüfen oder widerlegen zu lassen, habe ich die Kirchenpflege direkt kontaktiert und auch ihnen einige Fragen gestellt bzw. ein direktes Gespräch angeboten. Leider kam das Mail ans Sekretariat mit einer Ferienmeldung zurück, hier kann ich erst ab dem 15. Juli wieder jemanden erreichen.
Nun habe ich das Mail an David Schölly weitergeleitet, der das Traktandum an der Versammlung behandelt hat. Ich würde mich freuen, wenn ich auch seine Seite hören könnte. Sobald dies der Fall ist, werde ich selbstverständlich auch darüber berichten.
Nachtrag 10.7.2016 – Antwort von David Schölly
Herr Schölly hat meine Mail von seinen Sommerferien aus beantwortet – dafür ein herzliches Dankeschön. Wir wissen jetzt, auf welcher Basis die 10% berechnet werden, nämlich gemäss erhaltener Liste.
Herr Schölly hat mich ausdrücklich gebeten, seine Antwort weder ganz noch auszugsweise auf dem Blog zu zitieren, was ich natürlich respektiere. Die inhaltliche Diskussion ist ja nicht Teil des Referendums: Da geht es nur darum, dass das Traktandum «Kündigung der Leistungsvereinbarung» noch einmal aufgenommen werden soll.
Allfällige offene Fragen können wir, je nach Vorschlag der Kirchenpflege, an der nächsten Kirchgemeindeversammlung diskutieren.
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