Als ich Unterschriften für das Referendum sammelte, meldete sich bei mir unter anderem ein junger Mann, der nicht unterschreiben wollte, weil der Jugendclub ihn und über 100 KollegInnen im Stich gelassen hatte bzw. nach wie vor im Stich liesse – genauso, wie auch die Gemeinde Bad Zurzach: «Für Junge wie wir, die aus der Schule raus sind, wird hier gar nichts gemacht.» – Ich versprach, der Sache nachzugehen, sobald die Referendumsfrist abgelaufen und die Unterschriften beieinander wären – und traf mich nun mit ihm zu einem Gespräch.
«Bad Zurzach kümmert sich nur um Senioren»
Der junge Mann, der mit dem Long Board angebraust kommt, ist von seiner Heimatgemeinde enttäuscht. Er hat hier die Schule besucht, war im Handballverein und wohnt auch jetzt, wo er das dritte Lehrjahr beginnt, noch im Flecken. Aber seine Freizeit verbringt er vorwiegend in Baden.
Als er noch in der Schule war, war das anders:
Er besuchte den Jugendclub und schätzte Gabriela, die damalige Leiterin sehr. Sie habe die Jungen ernst genommen und sich sehr für sie eingesetzt. Dass sie ging, bedauert er auch heute noch.
Gerne hätten er und seine Kumpel sich auch auf dem Skaterpark vergnügt. Nur: Die Halfpipe, die zwischen Salz- und Tunnelstrasse an der brennenden Sonne steht, genügte den Ansprüchen
aktiver Jugendlicher längst nicht mehr …
Also engagierte er sich:
Zusammen mit KollegInnen sammelte er auf dem Pausenplatz der Schule und im Jugendclub Unterschriften, fast 150 seien es gewesen, und Diego, der Leiter des Jugendclubs, habe versprochen, sich
für sie einzusetzen. Passiert sei aber gar nichts – ob aus finanziellen oder anderen Gründen, weiss er nicht. Und dann kam er aus der Schule – und jetzt habe er gar keinen Zugang zum VJAZ
mehr, weil nur SchülerInnen bis 4. Oberstufe Zutritt zu den Veranstaltungen hätten.
Alternativen gäbe es im Flecken für seine Generation keine, meint Severin. Und auch das Handballspielen hat er aufgegeben, seit die Stimmung im Club gedreht habe: Als er angefangen habe, durfte jeder mitspielen, der Spass an diesem Sport hatte. Aber mit der Zeit seien nur noch die Guten auf dem Feld gestanden, die anderen blieben auf der Bank sitzen. Und obschon er selber meistens spielen durfte, fand er das so ungerecht, dass er den Sport aufgab.
Zum Tanzen oder Abhängen nach Baden
In Baden gibt es einen Club, in dem er gerne tanzen geht und sich mit seinen Freunden trifft. Er weiss, dass es früher so was bei uns im Höfli auch gab – und hätte sich vorstellen können, das hier zu besuchen. Wobei: Seine Kumpels, die er inzwischen in Baden gefunden hat, würden wohl kaum nach Bad Zurzach kommen. Und hier im Flecken pflegt er kaum mehr Beziehungen. Der Kontakt zwischen Bez- und Realschüler sei praktisch nicht existent, und sein Beziehungsnetz ist jetzt durch seine Lehre und die Kollegen in Baden geprägt.
Die Hinreise nach Baden ist kein Problem – die Rückreise aber sehr wohl:
Der Bus fährt eine ausgedehnte Route, aber das wäre auszuhalten. Schlimmer sei das Benehmen der Reisenden: Im Bus werde – pardon –gesoffen, teilweise gepöbelt, gekifft, randaliert … Ob eine Begleitperson / Security im Bus für mehr Sicherheit sorgen könnte? Severin ist skeptisch und freut sich darauf, dass er am Tag nach unserem Gespräch 18 wird, Auto fahren lernen kann und selbständiger werden wird. Er will auf Nullprozent setzen und ist bereit, auch seine Kollegen zu fahren. Ihm geht es ja mehr ums Tanzen, um die Musik, ums Beisammensein ...
«Nach der Lehre bin ich weg!»
Severin kann sich nicht vorstellen, nach der Lehre hier in Zurzach wohnen zu bleiben. Nicht nur, weil unsicher ist, ob sein Lehrbetrieb ihn übernehmen kann … sondern weil es hier einfach nichts gibt, wo er sich vorstellen könnte, seine Freizeit zu verbringen, Kollegen zu treffen, nach der Arbeit etwas trinken zu gehen.
Ob er sich vorstellen könnte, zurück zu kommen, wenn er mal – sagen wir – in meinem Alter sei? Wir grinsen uns schief an: Das ist viel zu weit weg, scheint aber wenig realistisch … Hier Kinder grossziehen? Auch das ist noch weit weg, aber wenn ich von anderen jungen Eltern höre, wie sie beklagen, dass es im Flecken zwar Wohnungen für junge Familien gibt, aber kaum Infrastruktur für die Eltern, glaube ich weniger daran – aber das werde ich in einem anderem Blogpost aufnehmen, wenn ich ein Gespräch mit jungen Eltern führe …
«Was ich mir wünsche …»
Für sich selber hat Severin eigentlich keine Wünsche mehr – er hat resigniert. Für die Jungen, die nachkommen, wünscht er sich Menschen wie Gabriela, die sich für sie eingesetzt hatte, ihre Anliegen ernst nahm um sie darin unterstützte, eigene Projekte anzuziehen und durchzuziehen. Er fände es gut, wenn der VJAZ sich auch für Jugendliche über 16 engagieren könnte, denen auch eine Location böte und die Möglichkeit, eigene Projekte durchzuziehen. Damit die Jungen sich nicht erst nach Baden oder anderswo umsehen müssen, sondern auch hier im Flecken Treffpunkte haben. Damit diese aber funktionieren, müssten bereits während der Schulzeit mehr Kontakte stattfinden zwischen den unterschiedlichen Schulen: Gemeinsame Sportanlässe zwischen Sek-, Real- und Bez-SchülerInnen; mehr PowerNights, Midnight Sports oder ähnliche Anlässe; Jugend-Discos oder gemeinsame Feste …
Und nicht zuletzt – auch wenn er da die Hoffnung bereits aufgegeben hat – sollte jemand mal die Halfpipe wieder in Stand setzen. Vielleicht auch an einem anderen Ort, wo es auch etwas Schatten gäbe, ein paar Sitzgelegenheiten, etwas Platz auch für Slalom etc. Ich war heute da, habe diese Fotos geschossen und muss sagen: Einladend ist diese Skater-Anlage wirklich nicht …
Ich werde versuchen herauszufinden, wer für die Halfpipe zuständig ist, und sehen, ob man da was tun könne. Und ich werde, das war so ziemlich das einzige, was ich Severin versprechen konnte, am Thema dran bleiben – als Privatperson oder, wenn ich denn gewählt werden sollte, als Gemeinderätin. Denn inzwischen habe ich entschieden, mich nicht nur während dieser Referendumsdauer zu engagieren, sondern auch danach. Weil ich finde, dass der Flecken es wert ist!
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Lovey (Montag, 15 August 2016 10:49)
Geht doch nichts über aufmerksame Mitleser! Habe gerade den Link auf einen Artikel der AZ von 2014 (!) erhalten, der den Skaterpark thematisiert: http://www.aargauerzeitung.ch/aargau/zurzach/dieser-skatepark-wird-immer-wieder-zur-muellhalde-gemeinderat-ist-ueberrascht-127934892
Schon damals galt die Halfpipe als nicht mehr brauchbar und sollte entsorgt werden. Getan hat sich seither nichts … Ausser, dass da gestern kein Abfall herumlag. Was aber wohl daran liegt, dass kein Mensch mehr dahin geht.
Irgendwie kann ich Severins Resignation etwas verstehen:
Zur Zeit sammelt der Flecken für eine doppelspurige Rutsche fürs Regibad. Wäre so was nicht auch für eine Skateranlage möglich gewesen?
Ketzerische Idee:
Wie wäre es, wenn man vielleicht nur eine "normale" Rutsche baute – und dafür auch noch einen Skaterpark? Eine Überlegung wäre es wert …
Lovey Wymann (Sonntag, 04 September 2016 17:39)
Inzwischen habe ich mich auch mit Diego unterhalten: Er war für die alte Halfpipe zuständig und hat seinerzeit auch die gesammelten Unterschriften entgegengenommen. Abklärungen hätten damals ergeben, dass die alte Halfpipe auch nach einer Reparatur nicht den damaligen Standards entsprochen hätte – und eine moderne Anlage, aus Beton, hätte rund 150'000 CHF gekostet – das ist fast das gesamte Jahresbudget, das für die Jugendarbeit zur Verfügung stand. Er ist aber nach wie vor offen für Ideen und Anregungen – auch gerade für die Initiative von Stefan Haus. Seiner Meinung nach sei die Skaterszene aber praktisch nicht mehr existent … Vielleicht bräuchte es andere Ideen? Auch hier wären wir froh um Input von denen, die es am meisten betrifft: die Jugendlichen von Bad Zurzach! meldet euch entweder hier im Blog oder via Kontak.